Auf der diesjährigen Google I/O hat der Konzern eine Funktion vorgestellt, die das Online-Shopping grundlegend verändern dürfte: AI Shopping Agents und hier insbesondere die Funktion Agentic Checkout, die Produkte beobachtet, Preisentwicklungen verfolgt und automatisch den Kauf abwickelt – ohne dass Kund:innen eine Händlerwebsite betreten müssen.
Was auf den ersten Blick nach Komfort klingt, stellt E‑Commerce-Anbieter vor massive Herausforderungen. Denn wenn eine KI die Kaufentscheidung übernimmt, geraten etablierte Mechanismen wie Cross-Selling, Upselling, Kundendialog und Markenbindung unter Druck.
Der Checkout-Prozess – bislang ein entscheidender CRM-Touchpoint – wird automatisiert und aus der Kundenbeziehung ausgekoppelt. Und genau das bringt Experten wie den dänischen Analysten Thomas Baekdal auf die Palme:
Du machst keine zusätzlichen Verkäufe mehr – und musst jedes einzelne Produkt separat versenden. Das ist so unfassbar dämlich, dass ich mir zu 100 % sicher bin: Bei Google hat noch nie jemand mit echten Online-Shops gearbeitet – sonst hätten sie diese Funktion niemals entwickelt.
Das wird die Profitabilität unzähliger Shops zerstören. Und nein, Skaleneffekte helfen hier nicht, wenn die Stückkosten pro Produkt massiv steigen.
Auch Branchenbeobachter wie Herman Singh warnen bereits, dass solche autonomen KI-Agenten das klassische Onsite-Upselling, Cross-Selling, Promotions und impulsgetriebene Werbung drastisch erschweren.
Der Händler würde so nur noch als Erfüllungsgehilfe im Hintergrund auftreten (Versand und Logistik), ohne echten Kontakt zum Käufer.
Datenverlut und entmündigte Händler
Aus CRM-Sicht sind die Konsequenzen erheblich. Wenn der direkte Kaufkontakt zum Kunden wegfällt, fehlen Euch wertvolle Daten und Gelegenheiten, die Kundenbedürfnisse zu verstehen. Normalerweise liefern Website-Besuche, Klicks und Warenkorbinhalte Signale für Personalisierung und Follow-up-Marketing.
Beim agentischen Einkauf erhaltet Ihr aber nur noch eine Bestellinformation, ohne zu wissen, wie der Kunde zu Euch fand oder was ihn interessiert hat. Cross-Sell-Angebote („Möchtet Ihr auch…?“) entfallen im KI-Checkout komplett. Die berühmte E‑Mail an Warenkorbabbrecher wird absolut, wenn es keinen sichtbaren Warenkorb mehr gibt.
Auch die Kundendatenhoheit verschiebt sich: Der Shopping-Agent (Google) sitzt auf den Vergleichsdaten, Preisalarminformationen und auf der Zahlungsabwicklung. Für Euch als CRM-Team bedeutet das: Weniger direkte Touchpoints, weniger Daten, weniger Chancen für Beziehungsaufbau im Moment des Kaufens.
Die persönliche Ansprache, die ein Shop bislang auf der Website leistete („Das könnte Euch auch gefallen“), muss künftig auch außerhalb des Kaufprozesses stattfinden – zum Beispiel in Newslettern, WhatsApp-Nachrichten, Kunden-Clubs und Foren.
Die Kundenbindung muss an anderen Stellen einsetzen – vor dem Kauf und nach dem Kauf (durch exzellenten Service und Nachbetreuung).
Kundenbindung und Customer Experience wichtiger denn je
In dieser neuen KI-getriebenen Einkaufswelt wird Kundenloyalität zum entscheidenden Faktor. Wenn Kundinnen und Kunden ihre Entscheidungen an eine neutrale KI auslagern, zählt für Händler vor allem, ob die Kundinnen und Kunden der eigenen Marke bewusst den Vorzug geben wollen.
Ein loyaler Kunde wird der KI vielleicht vorgeben, bevorzugt bei Eurem Shop kaufen zu wollen – selbst wenn woanders der Preis ein paar Euro niedriger ist. So entkommt Ihr der ewigen „Race to the Bottom“ im Preiswettbewerb. Loyalität schützt also davor, von der KI zum billigsten Anbieter durchgereicht zu werden.
Auch eine personalisierte Customer Experience bleibt ein Trumpf, den Ihr ausspielen könnt. Gerade weil die KI-Vermittlung sehr technisch und nüchtern abläuft („Preis erreicht, Kauf ausgeführt“), dürften sich Kunden weiterhin nach menschlicher Ansprache und maßgeschneidertem Service sehnen.
Ein Unternehmen, das seine Kunden kennt und individuell anspricht, bietet einen Mehrwert, den eine generische KI-Einkaufshilfe so nicht liefern kann. Beispielsweise könnten Stammkundinnen und ‑kunden exklusive Empfehlungen oder frühzeitigen Zugang zu neuen Produkten erhalten – Dinge, die eine KI nicht berücksichtigt, die aber emotional binden. Die Markenführung und ein überzeugendes Storytellung rücken weiter in den Vordergrund.
Die Entwicklungen der Shopping Agents sollte ein Weckruf für CRM-Verantwortliche sein sollte. Ja, die Einführung der Agenten wird die Spielregeln im E‑Commerce drastisch verändern. Aber anstatt in Schockstarre zu verfallen, könnt Ihr die Herausforderung proaktiv angehen.
Es ist jetzt die Zeit, Beziehungen zum Kunden unabhängig vom einzelnen Kaufabschluss zu stärken. Die gute Nachricht ist: CRM war schon immer die Disziplin, die über den einzelnen Verkauf hinausblickt und langfristige Bindungen aufbaut. Dieser Auftrag wird nun noch wichtiger.
4 Handlungsempfehlungen für CRM-Teams
- Kundenloyalität belohnen und fördern: Setzt alles daran, Eure besten Kunden zu halten. Entwickelt attraktive Loyalitätsprogramme, VIP-Clubs oder exklusive Vorteile für Wiederkäufer:innen. Je stärker die emotionale Bindung an Eure Marke, desto eher wird der Kunde Euch treu bleiben – auch wenn die KI zu einem anderen Shop lenken will.
- Personalisierung in allen Kanälen ausbauen: Nutzt die Euch zur Verfügung stehenden Daten, um jeden Kontakt möglichst persönlich zu gestalten. Sei es im Newsletter, in eurer App oder im Kundenservice. Durch smarte Segmentierung könnt ihr hochrelevante Angebote aussteuern und so die Wiederkaufrate erhöhen. Verbraucher:innen werden auch künftig nicht nur ihren vorhandenen Bedarf decken wollen – eine Aufgabe, die vermutlich an KI-Shopping-Agenten delegiert wird –, sondern sich auch inspirieren lassen wollen.
- Direkten Kundendialog stärken: Macht Euch unabhängiger von Drittplattformen, indem Ihr eigene Kontaktpunkte intensiviert. Ermuntert Kunden, sich z. B. für Euren Newsletter anzumelden, Eure App zu nutzen oder Teil Eurer Community (etwa via Social Media Gruppen oder Foren) zu werden. Legt einen klaren strategischen Fokus auf die E‑Mail-Adressgewinnung. Unser Framework 5 Levels of Subscription kann dabei helfen, systematisch mehr qualifizierte Kontakte zu gewinnen.
- Post-Purchase-Erlebnis optimieren: Wenn die KI den Kaufprozess verkürzt, nutzt die Phase nach dem Kauf, um zu punkten. Begeistert durch schnellen Versand, hochwertige Verpackung, persönliche Dankesnachrichten und proaktive Unterstützung, zum Beispiel Onboarding-Kampagnen für Erstkäufer.