Über den Priming-Effekt, Neuro-Nonsens und die Reproduzierbarkeit von Studien

Stefanie Schramm berich­tet auf ZEIT.de über einen hef­ti­gen Streit unter Forscher:innen, in dem die Resultate von sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Studien ange­zwei­felt wer­den. Es lohnt sich einen Blick auf diese Diskussion zu wer­fen, zumal die Erkenntnisse der ent­spre­chen­den Studien oft im CRM her­an­ge­zo­gen werden.

So dient ein Experiment des US-amerikanischen Sozialpsychologen John Bargh aus dem Jahr 1996 oft als Paradebeispiel für den so genann­ten „Priming-Effekt„: Bargh ließ seine Probanden Sätze aus Wörtern bil­den, die mit dem Alter in Verbindung gebraucht wer­den („grau“, „Glatze“, „ver­gess­lich“ etc.). Der Psychologe fand her­aus, dass die Probanden anschlie­ßend deut­lich lang­sa­mer in einen ande­ren Raum lie­fen als die Kontrollgruppe, die Wörter mit „neu­tra­len“ Begriffen gebil­det hat.

Stéphane Doyen von der Freien Universität Brüssel hat das Experiment aller­dings wie­der­holt und konnte den Priming-Effekt nicht nach­wei­sen. Barghs Reaktion auf die Replikationsstudie und die damit ein­her­ge­hende Kritik an sei­nem Experiment viel rela­tiv hef­tig aus (siehe hierzu auch A fai­led repli­ca­tion draws a scathing per­so­nal attack from a psy­cho­logy pro­fes­sor).

Nun kann es frei­lich diverse Gründe für die­ses Nichtergebnis geben. In dem ZEIT-Artikel wird etwa das sich wan­delnde Bild des Alters als ein mög­li­cher Grund genannt, warum die Replikationsstudie 16 Jahre nach dem ursprüng­li­chen Experiment den Priming-Effekt nicht nach­wei­sen konnte – trotz­dem zeigt das Experiment mög­li­che Schwachstellen in der Forschung auf.

Stefanie Schramm führt drei zen­tra­len Probleme der Forschung auf, die nicht nur auf die Sozialpsychologie zutreffen:

  • Erstens brin­gen spek­ta­ku­läre und posi­tive Ergebnisse mehr Aufmerksamkeit von Fachzeitungen, Medien, Berufungskommissionen, Geldgebern. Darum wächst der Anreiz, ein­fa­che, schnelle und kleine Studien zu produzieren.
  • Zweitens erre­gen Replikationsstudien nor­ma­ler­weise wenig Aufmerksamkeit – wenn sie über­haupt ver­öf­fent­licht werden.
  • Drittens wer­den die meis­ten Studien mit viel zu weni­gen Probanden durch­ge­führt, oft sind es nur 20 Personen.

Die genann­ten Probleme machen deut­lich, dass die in der (populär)wissenschaftlichen Literatur prä­sen­tier­ten und in Vorträgen oft recy­cel­ten Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie kei­nes­wegs vor­be­halt­los über­nom­men und auf das eigene Marketing ange­wen­det wer­den soll­ten. Eine tie­fer­ge­hende Beschäftigung ist sicher­lich immer sinnvoll:

  • Auf wel­chen Experimenten basie­ren die Erkenntnisse und Empfehlungen? Wann und von wem wur­den die Studien / Experimente durch­ge­führt? (Die oft feh­len­den Quellenangaben erschwe­ren die Beantwortung die­ser Fragen…)
  • Gibt es Replikationsstudien? Wenn ja, mit wel­chen Ergebnissen?
  • Sind die Ergebnisse wirk­lich über­trag­bar? In wel­chem Kulturraum wur­den die Experimente durchgeführt?

Dies gilt auch und ins­be­son­dere für das Neuromarketing: Die bis­lang durch­ge­führ­ten Original-Studien haben zum Teil wider­sprüch­li­che Ergebnisse, die wie­derum von den Medien oft pau­scha­li­siert werden.

Die Neurowissenschaftlerin Molly Crockett erläu­tert in die­sem sehens­wer­ten TED Talk („Beware neuro-bunk“) die Grenzen und Gefahren bei der Interpretation von neu­ro­wis­sen­schaft­li­chen Forschungsergebnissen.

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Dennoch kön­nen und soll­ten Forschungsergebnisse aus der Sozialpsychologische, bezie­hungs­weise den Neurowissenschaften im (digi­ta­len) Marketing ange­wen­det wer­den – bei­spiels­weise als Grundlage für die Entwicklung von Hypothesen in der Conversion Rate Optimierung. Meiner Meinung nach liegt hier sogar gewal­ti­ges Potenzial brach, da wir uns in der Online-Branche noch immer zu viel mit der Technik und zu wenig mit dem Menschen hin­ter dem Bildschirm beschäftigen.

Es lohnt sich aber, bei aller Euphorie gele­gent­lich einen Schritt zurück­zu­ge­hen, durch­zu­at­men und genauer hinzusehen.

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