René Kulka ist als Email Marketing Evangelist für die Berliner Optivo GmbH in Berlin tätig und Mitautor des Unternehmensblogs Optivo Campfire. Im vergangenen Jahr hat er das Fachbuch „E‑Mail-Marketing: Das umfassende Praxis-Handbuch“ veröffentlicht (meine Buchbesprechung).
Vor seiner Tätigkeit bei Optivo war René E‑Mail- und Affiliate-Marketingmanager bei einer Direktmarketing-Agentur in Essen. Ich habe mich mit ihm über aktuelle Entwicklungen und Best Practices im E‑Mail Marketing unterhalten.
René, Du beschäftigst Dich seit vielen Jahren mit dem Thema E‑Mail Marketing. Was hat sich Deiner Meinung nach in den letzten fünf Jahren verändert?
René Kulka: Da lässt sich unheimlich viel aufzählen, das Nutzerverhalten und der Online-bereich ändern bzw. entwickeln sich ja ständig weiter. Das betrifft auch die E‑Mail.
So gehören soziale Netzwerke und das mobile Internet heute zu Alltag. Aus Marketing-Sicht ergeben sich daraus neue Chancen, aber auch Herausforderungen. Man denke nur mal an die Möglichkeiten von Facebook Connect und den Social Graph zur einfachen und schnellen Datengewinnung, an genaueste Twitter-Zielgruppen fürs Retargeting, an die zunehmende Verzahnung von der Google Suche mit Gmail und vieles andere mehr. Zugleich ist aber etwa das E‑Mail-HTML nicht einfacher geworden: Zu den kaum vermeidbaren Darstellungsproblemen im Postfach gesellt sich die Herausforderung, auf den unterschiedlichsten Smartphones visuell zu überzeugen und bedienerfreundlich zu bleiben.
Glücklicherweise ist die Technik auch ein paar Schritte weiter: Flexible Mobile-Templates passen sich den Bildschirm-Gegebenheiten an, Marketing Automation eröffnet spannende Automatisierungsmöglichkeiten, Customer Intelligence offenbart neue Zielgruppen für eine hochgradig personalisierte Ansprache, Recommendation Engines erhöhen den Umsatz durch maßgeschneiderte Produktempfehlungen und Schnittstellen sorgen für eine einheitliche Datenbasis und Kundensicht.
Auch die meisten E‑Mail-Dienste sind gerade dabei, sich neu zu erfinden. Allen voran Gmail als Innovationstreiber: Die Priority Inbox trennt Wichtiges von weniger Wichtigem, Nachrichten werden automatisiert nach persönlichen E‑Mails und Werbung sortiert und Actions ermöglichen interaktive Widgets bereits im Betreff.
Schließlich gibt es neue Spezialisten und Leistungen am Markt und solche, die sich auf interessante Weise rundum erneuern. So setzt etwa Movable Ink spannende Akzente im Bereich der Echtzeit-Optimierung. Ein Dienstleister wie Return Path steht inzwischen nicht mehr „nur“ für Zustellbarkeit und den entsprechenden Analysemöglichkeiten, sondern auch für „Email Intelligence“, dass auch den Mitbewerb inkludiert. Neuerungen gibt’s auch im deutschen Markt, wo trustedDialog neben Authentifizierungsdiensten inzwischen in den Bereichen Videomails und interaktive Nachrichten einiges zu bieten hat. Mein Fazit: An der E‑Mail wird auch künftig kein Weg vorbeiführen. ☺
…und welche typischen Fehler werden aus Deiner Sicht auch heute noch von vielen Unternehmen gemacht?
René Kulka: Erfolgreiches E‑Mail-Marketing beginnt bei der Datengewinnung. So bemerke ich immer wieder, dass Marketer ihre Newsletter-Anmeldung geradezu verstecken oder es werden zum Start viel zu viele persönliche Daten abgefragt. Beide Male geht viel Adresspotenzial verloren. Häufig gibt’s auch Mängel bei der Einwilligungserklärung. Unternehmen, die dem Interessenten sein Opt-in gewissermaßen unterjubeln, begeben sich nicht nur rechtlich auf absolutes Glatteis, sondern riskieren auch Spam Traps und die Klassifizierung als Spam. Neben möglichen Imageschäden wird dadurch auch die Zustellbarkeit der eigenen Werbemails ernsthaft in Frage gestellt.
Auch die Gestaltung der E‑Mails wird gerne unterschätzt. Hierbei sollte jede neue E‑Mail dem Empfänger folgende vier Fragen unmittelbar beantworten können: Wer kontaktiert mich, warum tut er das gerade jetzt, was soll ich tun und warum?
Viele Marketer setzten heute eine professionelle Versandlösung eines externen Dienstleisters ein. Allerdings werden in puncto Individualisierung meist nicht einmal ansatzweise die gegebenen Möglichkeiten ausgereizt. Ich denke hierbei beispielsweise an mehrstufige Kampagnenmails, die nach bestimmten Ereignissen oder zu bestimmten Zeitpunkten automatisch angestoßen werden oder die Profilierung durch die Verschlagwortung von Newsletter-Links, anhand derer sich die erfassten Interessensgruppen passgenau informiert lassen.
Wir haben uns zuletzt im vergangenen Jahr auf dem ConversionSUMMIT in Frankfurt getroffen. Was können E‑Mail Marketer Deiner Meinung nach von Conversion Optimierern lernen?
René Kulka: Viele Konzepte aus dem Bereich Konversionsoptimierung lassen sich ins E‑Mail-Marketing übertragen. Professionelle Konversionsmaßnahmen zielen auf eine anvisierte und direkt messbare Response ab. Im E‑Mail-Kanal geht es um nichts anderes: der Empfänger soll in dem Mailing auf den Link klicken. Zugleich ist die Gestaltung von Landing Pages untrennbar mit den Versandaktivitäten verbunden.
Allerdings sind methodisch korrekte und kluge Tests für die Erzielung höher Konversionsraten im E‑Mail-Marketing noch längst nicht ausgereizt. Potenzial sehe ich aber auch bei den Bemühungen, Motivationen von Webseiten-Besuchern und Zielgruppen anhand psychologischer und neurowissenschaftlicher Erkenntnisse zu erfassen, um solchen Bedürfnissen besser gerecht zu werden.
Auch der Blick über den eigenen Tellerrand ist wichtig: Viele Online-Marketing- Disziplinen sind durch Stammtische, Konferenzen, soziale Netzwerke, Foren und Blogs eng vernetzt. Im E‑Mail-Marketing ist der Networking-Gedanke dagegen nicht übermäßig ausgeprägt. Wir von optivo treiben das Thema voran und laden am 4. April zur dritten Ausgabe des Berlin Email Summits ein. Du und deine Leser sind hierzu herzlich eingeladen. Im vergangenen Jahr haben daran mehr als 200 Besucher teilgenommen – und wir haben meist sehr positives Feedback erhalten.
Die Empfehlung „Testen Sie!“ findet sich in gefühlt 95 Prozent der Vorträge zum Thema E‑Mail Marketing wieder. Angenommen, ich habe die Empfehlung dennoch ignoriert und möchte morgen endlich mit dem Testen anfangen. Worauf sollte ich achten? Was ist Deiner Meinung nach der wichtigste Aspekt für erfolgreiche Tests?
René Kulka: Ja, Tests sind ein zentrales Thema. Zu den Grundpfeilern erfolgreicher Tests gehören in meinen Augen: (a) ein repräsentatives Abbild des E‑Mail-Verteilers in den Testgruppen, das nur durch eine Zufallsauswahl sichergestellt werden kann, (b) Überprüfung der Signifikanz der Ergebnisse, um zufällige Schwankungen zu erkennen, © Kontrolle, dass auch wirklich das gemessen wird, was ausgewertet werden soll, eine Testkultur im Marketing-Team etablieren, also kontinuierlich testen und jedem Test einen Erkenntnisgewinn entlocken, (e) systematische Vorgehensweise, also Ideen sammeln, Tests planen und priorisieren sowie die Ergebnisse für alle protokollieren.
Es geht auch immer darum, das Richtige richtig zu testen. Regelmäßige Betreffzeilen- und Button-Tests lassen sich etwa sehr leicht auf den Weg bringen. Beide Test-Bereiche versprechen einen großen Erfolgshebel, gerade in Kombination mit Zielgruppen-Tests. Tests von Versandzeitpunkten sind dagegen häufig ziemlich ernüchternd. Denn die kombinierte Auswertung von Werktagen und Uhrzeiten ist aufwändig, generiert aber oft nur relativ kleine Unterschiede in der Response.
Funktioniert Testing im E‑Mail Marketing nur mit sehr großen Verteilern oder kann ich davon auch profitieren, wenn mein Verteiler lediglich einige tausend E‑Mail-Adressen umfasst?
René Kulka: Einige tausend Abonnenten sollte der Verteiler schon haben. Bei lediglich ein paar hundert Empfängern ist dagegen immer die Gefahr gegeben, dass etwaige Response-Unterschiede zufällig entstehen. Denn bei besonders kleinen Verteilern muss nicht unbedingt eine variierte Betreffzeile oder eine farblich variierter Call-to-Action-Button ausschlaggebend sein.
Ein einfaches Rechenbeispiel: Um eine von 10 auf 12 Prozent erhöhte Klickrate möglichst sicher auf einen bestimmten Test-Parameter zurückzuführen, sollten mindestens 600 Abonnenten pro Testgruppe genutzt werden. Würde nämlich jeweils nur mit 100 Empfängern getestet werden, läge das Risiko zufallsbedingter Unterschiede statistisch bereits bei mehr als 60 Prozent. Das heißt, dass bei mindestens 6 von 10 Tests fälschlicherweise der Einfluss einer Variation als maßgeblich angenommen würde.
In Deinem Buch schreibst Du auch über die Kombination von E‑Mail Marketing und Social Media. Eine Möglichkeit stellen Links dar, mit denen Inhalte einer E‑Mail in den sozialen Netzwerken geteilt werden können (Share with your Network / SWYN). Nun kann ich mir nicht so recht vorstellen, dass Kunden etwa ein Angebot für neue Winterreifen euphorisch mit ihren Facebook-Freunden teilen. Wann können SWYN-Links funktionieren? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
René Kulka: Ja, das sehe ich grundsätzlich auch so. SWYN-Links sind keine Selbstläufer. Erfolgreiche Maßnahmen hängen maßgeblich von den Inhalten, der Inszenierung und der Zielgruppe ab. Die Abonnenten stellen sich die Frage, ob der Content teilenswert und ob der Absender als attraktiv sind. Zugleich muss sich der Marketer fragen, ob er überhaupt über einen Empfängerstamm verfügt, der affin zu Social Media ist, und der fähig ist, die notwendigen viralen Effekte anzustoßen.
Den gesamten Newsletter mit Links zu Facebook & Co. auszutapezieren bringt dagegen nicht viel. Den Marketern empfehle ich vielmehr, im Newsletter nur Top-Inhalte zum Teilen anzubieten und sich auf zwei oder drei soziale Netzwerke zu konzentrieren. Zugleich sollten besonders Multiplikatoren durch spannende Motive angesprochen werden.
Ganz konkret: Der Reifenanbieter könnte im Newsletter etwa einen Betreff wie „◎ WM-Special ‚Sommerreifen-Wechsel‘ ◎“ platzieren. Hinter dem professionell ausgestalteten und via SYWN verlinkten Werbemittel verbirgt sich ein attraktiver Top-Rabatt für Facebook. Dieses Special ist wiederum an die Anzahl der geschossenen Tore der deutschen Nationalmannschaft beim letzten WM-Spiel gekoppelt, die nur für ein oder zwei Tage für Newsletter-Abonnenten und ihre Facebook-Freunde gilt.
In der Galerie in Eurem Blog stellst Du regelmäßig besonders gelungene E‑Mail-Kampagnen vor. Fällt Dir spontan ein besonders kreatives Highlight ein?
René Kulka: Ich persönlich bin besonders an technische Finessen im E‑Mail-Marketing interessiert. Empfehlenswert finde ich unter anderem die Blog-Posts klickbare Buttons in bereits der Betreffzeile, Videomails auf der Grundlage animierter GIFs und Bildpersonalisierungen. Spannend sind auch pfiffige Triggermails sowie Individualisierungen im Stile eines echten One-to-One-Marketings (LinkedIn-Beispiel).
René, vielen Dank für das Interview!
René Kulka: Dito.